…schwappt über uns hinweg
Aktuelle und bevorstehende Herausforderungen im Speditionsgewerbe
Die familiengeführte Spedition Richard Müller GmbH & Co. KG hat sich auf die Aufgabenfelder Expressdienste, Nah- und Fernverkehre, Tankzugverkehre, nationale und internationale Sammelverkehre, See- und Luftfracht, Lagerung und Kommissionierung, Beschaffungs- und Distributionslogistik, Supply Chain Management, Zollabfertigung, Nutzfahrzeug-Waschanlage, Tankfahrzeug-Innenreinigungsanlage spezialisiert.
Ende April prägte der „DSLV Bundesverband Spedition und Logistik“ in einer Pressemitteilung den Begriff „Sendungs- Tsunami“ für die Zustände, die derzeit den deutschen Speditionen einiges Kopfzerbrechen bereiten. Der Hintergrund der Klage: Das Sendungsvolumen deutscher Sammelgutspeditionen steigt seit Monaten massiv an – teilweise sogar im zweistelligen Bereich.
Warum ist das so? Zunächst bestellen wegen des Corona-Lockdowns die privaten Haushalte verstärkt Waren im Internet – dies gilt auch für große Packstücke. Aber Fracht, die bestimmte Dimensionen übersteigt oder schwerer als 30 kg ist, wird von den Paketdienstleistern nicht angenommen. Stattdessen werden diese Pakete von Speditionen ausgefahren – und das manchmal durch die halbe Republik. Auf etwa 17 Prozent beziffert der DSLV aktuell den kleinteiligeren Privatkundenanteil am speditionellen Sammelgutgeschäft. „Für diese Art der Warenverteilung sind die klassischen Speditionen aber nur schlecht gerüstet. Uns fehlen nicht nur Fahrer, wir sind es auch eher gewohnt, von einem gewerblichen Kunden zum anderen zu liefern. Die Lkws sollten eigentlich nur in Ausnahmefällen in Wohngebieten unterwegs sein“, merkt zu dieser Trendwende Richard Müller an, Speditionsunternehmer aus Gelnhausen, Vorsitzender des IHK-Arbeitskreises Infrastruktur und Mobilität sowie gewähltes Mitglied in der IHK-Vollversammlung.
Der Fachverband berichtet zudem, dass im Jahr 2020 trotz Coronavirus- Pandemie die Sendungszahlen mit 119 Millionen Stückgütern ungefähr auf dem hohen Stand von 2019 geblieben waren. Nach dem starken Einbruch im zweiten Quartal 2020 waren die Transporte langsam, aber stetig wieder angezogen. Für 2021 erwartet der DSLV allerdings eine Steigerung auf rund 130 Millionen Sendungen. Nicht nur der boomende B2C-Markt (Business to Customer – Lieferungen von Online-Bestellungen an private Nachfrager) sorgt für den sprunghaften Anstieg. Hinzu kommt der teils beträchtliche Nachholbedarf aus Industrie, Dienstleistung und Handel im weiteren Jahresverlauf – auch B2B brummt.
Kann die Branche den Kapazitätsengpass bewältigen? Reichen coronakompatible Sonderschichten und Samstagsarbeit in den Stückgutdepots? Was ist mit dem Klimaschutz und der Lkw-Mobilität? Last, but not least: Wie steht es um die Digitalisierung in der Branche? Die IHK-Redaktion hat bei Richard Müller nachgefragt.
Ein Modernisierungsschub steht bevor
„Zunächst einmal helfen der Branche die Onlinebörsen sehr“, berichtet Müller über die Lage in der Branche. Die Digitalisierung verändere zunehmend die Welt der Speditionen. Solche Plattformen, mit denen Frachtentransporte und verfügbare Lkw-Kapazitäten optimiert werden können, gibt es „bestimmt seit zwei Jahrzehnten“. Sie werden nur von Jahr zu Jahr immer ausgefeilter. Die einst geäußerte Befürchtung, die Digitalisierung und das Internet zwinge die Unternehmen in die wirtschaftliche Abhängigkeit von Dritten, ist gewichen.
Längst geht in der Branche nichts mehr ohne digitale Anwendungen. Es gibt im Internet mittlerweile nicht nur Frachtenbörsen, Ausschreibungen, Transport Management und Supply Chain Visibility, sondern auch immer mehr Marktteilnehmer, die sämtliche Prozesse von Grund auf digital abbilden wollen und intensiv daran arbeiten. Wichtig für Müller ist, dass es dabei „nicht nur um den Preis unserer Dienstleistung geht, sondern mittlerweile auch um andere Faktoren wie Zuverlässigkeit oder das Einhalten von geforderte Standards beziehungsweise um bestimmte Zertifizierungen.“ Müller präzisiert: „Es gibt keinen Marktführer bei den Frachtbörsen für B2B, und der bestehende Wettbewerb optimiert das Matching.“ Im Feld B2C sieht das perspektivisch ein wenig anders aus – Big Data sorgt gemeinsam mit Amazon, Google, Facebook & Co für eine perfekte Kundenansprache, auch über den Preis. Das Generieren, Analysieren und Nutzbarmachen riesiger Datenmengen durch die Plattformbetreiber hilft zwar den Internetkonzernen dabei, noch mehr Kundenaufträge bei den Endverbrauchern einzusammeln. Aber die logistischen Folgen könnten in den kommenden Wochen und Monaten nicht nur die Nerven der Endverbraucher arg strapazieren, sondern auch die des einen oder anderen mittelständischen Spediteurs.
Auf der anderen Seite bestehen noch immer die klassischen Netzwerke im Ladungsverkehr. Vor allem beim Stückgut genießt der direkte und vertrauensvolle Kontakt zwischen Auftraggeber und Spediteur noch immer Vorrang. Nicht alle Geschäftsbeziehungen sind in der Welt des Internets versunken oder im Zuge der Digitalisierung untergegangen
Der CO2-freie Straßengüterverkehr rückt näher
Es gibt ambitionierte und kurzfristige CO2-Reduktionsziele, doch noch sind die klimafreundlichen Lkws nicht viel mehr als eine Vision. Die Pläne des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) sehen zur Zeit vor, dass noch bis 2023 zunächst die verschiedenen Technologiepfade erprobt werden sollen, um danach zu entscheiden, welche Technologien förderfähig sein sollen. Klar ist derzeit nur: Die Transformation soll noch in diesem Jahrzehnt starten und weitgehend vollzogen werden.
Eine erfolgreiche Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs setzt allerdings zuverlässige Lkw-Antriebstechnologien voraus. Für den Markthochlauf dieser Fahrzeuge mit alternativen Antrieben stehen derzeit immerhin Fördergelder in Höhe von 1,16 Milliarden € bis 2023 bereit. Die Förderung soll danach beibehalten werden, um Kaufanreize für Speditionshäuser mit Fuhrparks zu setzen und um zu verhindern, dass die Herstellerindustrie in Sackgassen-Technologien investiert. „Moderne Diesel-Lkw sind zuverlässig, leistungsstark und günstig. Ob die alternativen Antriebe genauso gut sein werden, wissen wir nicht“, merkt Spediteur Müller zu den Plänen der Politik an. Die Anschaffung neuer Fahrzeuge mit anderen Motoren geht auf jeden Fall mit Investitionsmehrkosten einher. Würden diese zusätzlichen Kosten vom Bund übernommen oder wenigstens zum allergrößten Teil getragen, dann könnte die ökonomische Konkurrenzfähigkeit vielleicht schnell erreicht werden. „Alternative Antriebe sind zu begrüßen, sie sollten aber auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet werden. Die gesamte Branche steht ungeduldig in den Startlöchern“, weiß Müller. Der Ansatz, über eine CO2-differenzierte Lkw-Maut weitere Anreize zu schaffen, deutet laut Müller jedenfalls in die richtige Richtung, „aber noch sehe ich keine konkrete Ausgestaltung. Wer im Vertrauen auf die Politik neue Lkws mit umweltfreundlichen Gasantrieben angeschafft hat, sollte 2024 nicht im Regen stehen bleiben“, mahnt Müller.
Wie dem auch sei: Die Verzögerungen behindern den Siegeszug der alternativen Antriebe, während zugleich Neuanschaffungen von Lkws jetzt dringend geboten sind. Bekanntlich fährt ein Lkw in Deutschland etwa sechs bis sieben Jahre lang. Danach ist er zu reparaturanfällig, um wirtschaftlich gefahren zu werden. Spediteure, die momentan bei der Anschaffung auf Gasantriebe setzen, weil das bis 2023 Mautkosten spart, gehen deswegen ein hohes wirtschaftliches Risiko ein. „Keiner weiß, wann zum Beispiel die Brennstoffzellen- Lkw kommen. Es gibt ja schon einige, die zum Beispiel in der Schweiz unterwegs sind“, klagt Müller. Er hofft, dass die „Henne-und-Ei-Diskussionen“ bald der Vergangenheit angehören. „Es wird Zeit, dass wir Planungssicherheit erhalten. Es geht nicht nur darum, dass die Wertschöpfungsketten funktionieren. Es geht auch ganz allgemein um Vertrauen – in die Speditionen, in die Politik, in die Technik.“
Fotos: Spedition Richard Müller
Richard Müller ist Vorsitzender des IHK-Arbeitskreises Infrastruktur und Mobilität und Mitglied der IHK-Vollversammlung.